Aus dem Leben der Kirchengemeinde Ortelsburg nach dem 2.Weltkrieg - 1955.

Aufgezeichnet 1952 - 1955, von Kurt Rattay

Ortelsburger Kirche nach der Aussenrenovierung

“Neujahr in Ortelsburg”

2. Januar 1955

Da in der Sylvesternacht ein Gottesdienst statt fand, wurde der erste Gottesdienst im neuen Jahr auf den Sonntag verlegt. Die Ortelsburger Posaunengruppe begleitete den Gesang der Gemeinde in der Kirche. Nach dem Gottesdienst fand im Gemeindesaal noch eine Geburtstagsfeier statt, an der gemischte Chor, die Gitarren und die Posaunengruppe teilnahmen. Bei dieser Gelegenheit wurden die Antwortbriefe der Soldaten, die im Krieg, an der Front, Weihnachtspäckchen erhalten haben, vorgelesen.

Hör niemals auf dich so zu offenbaren, wie wir's bis an den heut'gen Tag erfahren. Verherrliche an uns Herr deinen Namen. Oh'n Ende-, Amen!.

“ Amtseinführung des Herrn Pfarrer Jagucki”

23. Januar 1955

Schon lange vor Beginn des Gottesdienstes versammelte sich die Gemeinde in der festlich geschmückten Kirche. Unter den Klängen der Posaunengruppe aus Altkirchen, betrat der Kirchenrat, der sich schon vorher im Pfarrhaus versammelt hatte, gefolgt von Pfarrer Jagucki, Pfarrer Pilch, Pfarrer Wittenberg, Superintendent Frischke und Bischof Kotula die Kirche. Nach dem Gitarrenlied "Bis hierher hat mich Gott gebracht" und zwei Chorliedern, folgte die Amtseinführung, welche Bischof Kotula sowie Superintendent Frischke und Pfarrer Wittenberg durchführten. Als Zeugen waren Pfarrer Pilch und ein mir unbekannter Pfarrer dabei. Bein Ausgang spielte vor der Kirche die Posaunengruppe aus Altkirchen. Die Ortelsburger Posaunengruppe empfing Pfarrer Jagucki in seiner Wohnung, auch während der Mittagstafel sorgte sie für den festlichen Rahmen. Nach dem Mittagessen hielten Bischof Kotula, Superintendent Frischke, Pfarrer Wittenberg, sowie einige Mitglieder des Kirchenrates noch kurzgehaltene Ansprachen. Nachdem die Posaunengruppe noch ein gemeinsames Lied mit den Anwe- senden angestimmt und eine feierliche Motette vorgetragen hatte, verliessen wir um 17:00 Uhr das gastliche Pfarrhaus.

Für die Sache unsres Meisters, lasst uns wirken früh' und spät, dass nicht eh' das Werk vollendet, unsre Sonne untergeht.

“ Geburtstag unseres Chordirigenten”

28. Februar 1955

An einem Sonntagnachmittag versammelten wir uns in Rohmanen, um unseren Chordirigenten, der sich gerade auf dem Wege nach Ortelsburg befand, mit einem Lied der Posaunengruppe und einigen Chorliedern zu überraschen. Nachdem ihm einige Geschenke überreicht wurden, begaben wir uns zurück zu seinem Haus. Dort wurden wir mit Kaffee und Kuchen empfangen. Nach dem Essen sangen wir Lieder, bis schließlich Pfarrer Jagucki mit seiner Frau eintraf. Diesem Umstand hatten wir es zu verdanken dass wir noch einmal bewirtet wurden. Nachdem Pfarrer Jagucki noch eine Kurze An- dacht gehalten hatte, verliessen wir nach einem Dankgebet und Lied, um 21:30 Uhr, das gastliche Haus unseres Chordirigenten.

Amen, Amen, Amen. Ehre sei dem Namen, Jesu Christi unseres Herrn, denn er segnet uns so gern.

“ Pfarrer Jaguckis Geburtstag”

21. März 1955

Um 18:00 Uhr versammelten wir uns im Gemeindehaus um Herrn Pfarrer Jagucki zu seinem Geburtstag zu gratulieren. Es wurden Lieder des Gitarren- und des gemischten Chores, unterbrochen von Gedichten vorgetragen. Pfarrer Wittenberg aus Passenhein hielt danach noch eine kurze Ansprache. Leider mussten uns Pfarrer Wittenberg mit seiner Frau, die auch anwesend war, kurz darauf verlassen. Es wurden dann Süssigkeiten herumgereicht, sowie vier Alben, die die verflossene Dienstzeit von Pfarrer Jagucki auf Fotos darstellten. Nach einem Dankgebet und Lied war die Feier zu Ende. Draussen erwartete uns ein heftiges Schneegestöber, das uns auf dem ganzen Heimweg begleitete.

Amen, Amen, in dem Namen, meines Jesu halt ich still. Es geschehe und ergehe, wie und wann und was er will.

“ Ausflug nach Aweyden”

8. Mai 1955

Weil die Eisenbahnverbindung so ungünstig war, fuhren wir schon am Sonnabend um 16:40 Uhr von Ortelsburg los. Vom Bahnhof in Puppen wurden wir mit zwei Pferdefuhrwerken abgeholt, so dass wir mit hereinbrechender Dunkelheit in Aweyden ankamen. Wir wurden dort unter die Gemeindemitglieder verteilt, die für uns eine Übernachtungsmöglichkeit vorbereitet hatten. In der Nacht stellte sich ergiebiger Regen ein, der noch in den Morgenstunden anhielt. Um 9:00 Uhr begann das Missionsfest, zu welchem wir eingeladen waren. Anwesend waren Pfarrer Jagucki, Pfarrer Buchholz aus Bartenstein, Pfarrer Malek aus Ukta, und Pfarrer Dosch aus Aweyden, sowie die Kirchenchöre aus Aweyden, Peitschendorf und Ortelsburg. Die Posaunengruppen aus Aweyden und Altkirchen trugen ebenfalls zum Gelingen dieser großartigen Veranstaltung bei. Nach Beendigung des Gottesdienstes, der bis 14:00 Uhr dauerte wurden wir im Gemeindesaal mit Kaffee und Kuchen bewirtet, dazu sang der gemischte Chors aus Aweyden einige Lieder. Nachdem wir noch im Pfarrhaus und Gemeindesaal einige Lieder gesungen hatten, machte Pfarrer Jagucki den Mitgliedern des Kirchenrates einige Fotoaufnahmen. Die Zeit verging sehr schnell, so dass wir sehr überrascht waren, als zwei Pferdefuhrwerke ankamen, die uns zum Bahnhof nach Puppen bringen wollten. Auf dem Heimweg begleitete uns ein wahres Ausflugswetter. Die Sonne lachte uns entgegen und wurde nur hin und wieder von kleinen Schäferwolken verdeckt. In Puppen angekommen, besichtigten wir noch die dortige Kirche, um dann wieder zum Bahnhof zurück zukehren. Mit einbrechender Dunkelheit kehrten wir mit dem um 19:09 Uhr, abfahrenden Zug, heim.

Lasst uns ziehn in Jesu Namen, er ist eine gute Wehr, In ihm werden wir besiegen, unser Feinde ganzes Heer.

“ Konfirmation in Ortelsburg”

6. Juni 1955

Schon lange vor Beginn des Gottesdienstes versammelte sich die Gemeinde in der festlich geschmückten Kirche. Zu den Klängen der Posaunen, betraten die Konfirmanden das Gotteshaus. Die Einsegnung wurde von Pfarrer Jagucki durchgeführt. Anwesend war waren aus Aweyden, der gemischte Chor, der Männerchor und die Posaunengruppe. Pfarrer Dosch aus Aweyden war auch dabei. Am Nachmittag hielt eine Gemeindeschwester im Gemeindesaal eine kurze Ansprache. Um 17:00 Uhr wurde die Evangelisationswoche, die in der vergangenen Woche stattfand, mit einer kurzen Andacht beendet.

Das Größte kann vollbringen wer auf den Knien ringt, wer auch in Nacht und Kerker noch Dankespsalmen singt. Er weiss dass Gottes Wege nie enden in der Nacht, dass auch nach Sturm und Wetter die Frühlingssonne lacht.

“ Ausflug der Ortelsburger Sonntagsschule”

26. Juni 1955

In diesem Jahr unternahm die Ortelsburger Sonntagsschule einen Ausflug nach Waldsee. In einer am See gelegenen Kiefernschonung wurden wir mit Kaffe und Kuchen bewirtet. Das glasklare Wasser und die warme Luft luden förmlich zum Baden ein. Viele nutzten diese Gelegenheit auch aus. Am Nachmittag erschien auch Pfarrer Jagucki und hielt eine kurze Andacht. Dabei überraschte uns ein Gewitterregen, so das wir im nahen Dorf Zuflucht suchen mussten. Als der Regen nachliess, fuhr Pfarrer Jagucki wieder zurück nach Ortelsburg, um dort einen Gottesdienst zu halten. Eine Stunde später machten auch wir uns auf den Heimweg.

Hört ihr des Hirten Stimm, so bang, wie sie durch Berg und Wüsten drang, Schafe die von der Herd' verirrt, sucht immer noch der treue Hirt'.

“ Ausflug nach Finsterdamrau”

31. Juli 1955

Nach dem Gottesdienst, der in Ortelsburg um 8:00 Uhr begann, fuhren wir mit der Eisenbahn nach Groß Schiemanen, wo wir auch an einem Gottesdienst teilnahmen. Von Groß Schiemanen nach Finsterdamrau gingen wir zu Fuß. Dort wurden wir von der Familie Pawelzik sehr freundlich aufgenommen Zuerst besichtigten wir das Dorf, dann begaben wir uns in den nahe gelegenen Wald, wo Pfarrer Jagucki in Gottes freier Natur, noch eine kurze Andacht hielt. Als wir ins Dorf zurück kehrten, wurden wir noch einmal mit Kaffee und Kuchen bewirtet. Die sinkende Sonne, welche über einem herrlichen Julitag unterging mahnte uns zur Heimkehr.

Nimm du meine Hände an, zeig mir wie ich dienen kann. nimm die Füsse, mach sie flink, dir zu folgen, deinem Wink.

“ Konfirmation in Ortelsburg”

4. September 1955

Um 9:00 Uhr betraten die Konfirmanden, von Pfarrer Jagucki geführt, die Kirche. Es waren alles ältere Jahrgänge, die auf diesen Tag in einem verkürzten Konfirmandenunterricht vorbereitet wurden. Anwesend waren der gemischte Chor, sowie Pfarrer Firla, aus Sorquitten. Während der Einsegnung spielte der blinde Chordirigent auf der Geige, Motetten von Johann Sebastian Bach. Nach dem Gottesdienst wurden noch Gruppenaufnahmen gemacht, damit die Konfirmanden auch noch in fernerer Zukunft, ein greifbare Erinnerung an diesen Tag haben werden.

Laß mich dein sein und bleiben, du treuer Gott und Herr, von dir lass mich nichts treiben, halt mich bei reiner Lehr. Herr lass mich nur nicht wanken, gib mir Beständigkeit, dafür will ich dir danken, in alle Ewigkeit.

“ Nachtrag”

16. Mai 2006

Hiermit enden die Aufzeichnungen aus der Zeit von 1952 - 1955. Ab 1956 begannen, durch die Vermittlung des Deutschen Roten Kreuzes, die ersten Ausreisen in die Bundesrepublik Deutschland. Zuerst waren es Kinder die zu ihren Eltern ausreisen durften, Familien deren Väter aus der Kriegsgefangenschaft in den Westen Deutschlands entlassen wurden und andere durch den Krieg getrennte Familienangehörige. Ab 1960 erhöhte sich die Zahl der Ausreisewilligen aus dem polnisch besetzten Ostpreußen. Es setzte sich die Überzeugung durch, daß unsere angestammte Heimat, uns für die Zukunft keine Perspektive mehr bieten konnte. Meistens wurden die Anträge, die wir an die Passabteilung in Allenstein stellen mußten, um einen Ausreisepass zu bekommen, negativ beschieden. Nach mehrmaligen Versuchen gelang es dann doch, diese begehrte Ausreiseberechtigung in Empfang zu nehmen. Die Enttäuschung der Zurückgebliebenen war groß, wenn wiedermal Verwandte oder Nachbarn, den Weg in Richtung Bahnhof einschlugen.

Durch eine kurze Unterbrechung in den Jahren 1964 - 1967 ließ die Ausreisewelle etwas nach, aber dann dauerte sie ungebremst bis in die erste Hälfte der siebziger Jahre fort. Danach war auch dieser Teil Ostpreußens, wie zuvor schon der russisch besetzte, von der deutschen Bevölkerung fast vollständig verlassen. Damit wurde auch das nach Kriegsende wiedererweckte kirchliche Leben, auf Sparflamme zurückgefahren. Viele Kirchengebäude wurden nun dem Zuständigkeitsbereich der evangelischen Synode entzogen und der nun polnischen, katholischen Bevölkerung, übergeben. Zu diesem Zeitpunkt ging eine, seit der Reformation, über viele Jahrhunderte währende, durch viele Höhen und Tiefen geprägte, Epoche der evangelischen Kirche im südlichen Ostpreußen zu Ende. Nachtrag
Ein Schiff das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit
Das Ziel das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit.
Und wenn uns Einsamkeit bedroht, wenn Angst uns überfällt:
Viel Freunde sind mit unterwegs auf gleichen Kurs gestellt.
Das gibt uns wieder neuen Mut, wir sind nicht mehr allein.
So läuft das Schiff nach langer Fahrt in Gottes Hafen ein.


“ Erinnerungen des Pfarrer Dr. Alfred Jagucki an seine Zeit in Masuren 1945 - 1963 ”

Herausgeber: Masurskie Towarzystwo Ewangelickie, Olsztyn 2004.

Pfarrer Dr. Alfred Jagucki erinnert an seine Zeit in Masuren
Pfarrer Dr. Alfred Jagucki, geboren am 21. März 1914 in Kramnik, Kreis Suwalki, hat als erster evangelischer Pfarrer nach dem 2. Weltkrieg, in dem nun Polen angegliederten Masuren, seine Arbeit als Geistlicher aufgenommen. Von 1945-1952 war er in Sorquitten, im Landkreis Sensburg tätig. Anschließend, 1952-1963 wurde ihm die Betreuung der Kirchengemeinde Ortelsburg übertragen. Nachdem er unter dem Druck der politschen Administration in Allenstein, die ihm ein Ultimatum gestellt hatte, aus Masuren weichen mußte, war er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1981, im oberschlesischen Cieszyn, als Pfarrer tätig. Danach, 1981-1984 übernahm er die Stelle des Direktors in der "Senniorenresidenz Emaus" in Dziengelowo. Dort verbrachte er auch seinen Lebensabend. In diesem Haus hat er auch seine Erinnerungen, die sich vorwiegend auf seine Zeit in Masuren beziehen, niedergeschrieben. Er verstarb dort in den Abendstunden des 28.Juni 2004. Die Trauerfeier fand am 6.Juli 2004 statt. Wie ein roter Faden zieht sich durch das ganze Buch die Hoffnung, die am Anfang seines Wirkens in Masuren ihn, und andere evangelische Pfarrer beflügelt hat. Das Ziel dieser Geistlichen war, auf Grund der entstandnen politischen Tatsachen eine große evangelisch-lutherische Kirche zu gründen. Dass dieses Vorhaben nicht verwirklicht werden konnte verfolgte ihn bis ins hohe Alter. Im Nachfolgenden bringe ich ein par Ausschnitte aus diesen Buch, das bis dahin leider nur in polnich erschienen ist. Pfarrer Dr. Alfred Jagucki schreibt:

“Die enttäuschten Hoffnungen unserer Kirche.”

Pfarrer Dr. Alfred Jagucki

Der Pfarrer, Bischof Julius Bursche schrieb im Jahre 1930 in einem Brief an Friedrich Leyk, der ein Mitkämpfer für ein polnisches Masuren war, folgende Worte: Ich hege die Hoffnung dass Masowien irgendwann erwacht. Ich werde es nicht mehr erleben, aber ihnen wird der Herrgott noch diese Veränderung bescheren. Eine ähnliche Hoffnung äußerte kurz vor dem Krieg auch Karol Kotula in einem Gespräch über Masuren, von einigen auch preußisches Masowien genannt. Pfarrer Jan Szeruda vertrat zu diesem Thema eine ähnliche Meinung. Diese Hoffnung spiegelte sich auch im Wirken des masurischen Dichters Michael Kajka wieder. In einem seiner vielen veröffentlichten Werke schrieb er folgenden Vers:

Unser Weg in die Zukunft ist mühselig,
dennoch werden mit Gottes Hilfe,
viele aus unseren Reihen das Ziel erreichen.

In der Nachkriegszeit konnte von einer befriedigenden Betreuung der evangelischen Christen keine Rede sein. Es waren viel zu wenige Geistliche vorhanden. Wenn Pfarrer eine Gemeinde besuchten so geschah dies sporadisch, eine Intensivierung kirchlichen Wirkens endete meist als gutgemeinte Absicht. Heute, im Lichte der Erfahrung vergangener Jahre stellt sich unweigerlich die Frage, was ist denn übriggeblieben von der anfänglichen, hoffnungsvollen Arbeit vergangener Jahre? Wieviel evangelische Christen gibt es noch in Masuren?

Es sind viele Jahre vergangen und ich kann die Reihenfolge der verflossenen Ereignisse kaum noch nachvollziehen. Nach meiner Ankunft in Masuren kamen auch folgende Pfarrer: Dawid, Sachs, Wittenberg, Sczech, Pilch, Rückert, Szendel, Friszke. Aus noch vorhandenen Dokumenten kann man ersehen, dass zu Beginn des Jahres 1946, nur acht Pfarrer für ganz Masuren zuständig waren. Diese Personen mußten dann auch den Wiederaufbau des kirchlichen Lebens in dieser Region bewältigen. Jeder von uns hatte fünf bis zehn Kirchengemeinden zu betreuen. Es gab Gemeinden, ja sogar ganze Landkreise in denen kein einziger Mitarbeiter der evangelischen Kirche vorhanden war, obwohl die Arbeit für achzig evangelische Pfarrer gereicht hätte. Manche Gemeinden wie Sensburg, Nikolajken, Ukta, zählten noch über zwei tausend Seelen. Die größte Gemeinde war Sensburg, wo außer uns auch die Methodisten tätig waren. Auf die seelsorgliche Betreuung warteten die evangelischen Bewohner der Landkreise Lyck, Goldap, Treuburg und Suwalki. In Niedersee brachen die Leute in Tränen aus, als sie 4 Jahre nach Kriegsende an einem evangelischen Gottesdienst mit Abenmahlfeier teilnehmen konnten.

Die größten Schwierigkeiten bereitete die Anreise zu den einzelnen Gemeinden. Uns standen nur die Eisenbahn und das Fahrrad zur Verfügung. Nach vier Jahren hatte ich endlich ein dienstliches Motorrad. Als Adjudant von Bischof Karol Kotola, war Pfarrer Zygmunt Michaelis, am Anfang der 50er Jahre sehr aktiv. Er sorgte dafür das etliche Gemeindemitglieder zu Diakonen ausgebildet wurden. Die Vorbereitungskurse fanden in den Jahren 1952-53 statt. Man war bestrebt kirchliche Mitarbeiter auszubilden die nicht nur auf kirchlicher Ebene zum Einsatz kommen sollten, sondern auch im Bereich der administrativen Verwaltung. Diese Aktion unter der Leitung von Pfarrer Robert Fiszkal nannte man: “Aktion Masuren”. Dieser Versuch endete mit einem Misserfolg, weil die Teilnehmer masurischer Herkunft dem Druck den die staatlichen Stellen auf sie ausübten nicht standhielten. Ich kann mich noch gut daran erinnern das die Arbeit zu jener Zeit, durch Konflikte und Repressalien politischer Natur, sowie durch Streitigkeiten in zwischenmenschlichen Bereichen, überschattet war. Es häuften sich Konflikte um kirchliche Objekte die uns zuweilen hinterlistig, unter einem rechtlichen Vorwand, oft aber auch durch Schaffung vollendeter Tatsachen oder mit brachialer Gewalt entrissen wurden.

Durch die Abteilung für religöse Angelegenheiten wurde ein ständiger Druck auf Geistliche ausgeübt die es wagten während eines Gottesdienstes die deutsche Sprache zu benutzen. Unsere Pfarrer aus Zentralpolen beherrschten nur ganz selten die deutsche Sprache, die Gemeindemitglieder hatten dann auch volles Verständnis dafür wenn keine Fragmente in deutscher Sprache auftauchten. Im Gegensatz dazu hatten die Menschen kein Verständnis dafür wenn Diakone aus Masuren, die das Deutsche beherschten davon keinen Gebrauch machten. Wenn sie jedoch der Bitte der Gläubigen folgten und deutsche Texte einfliessen ließen, waren sie den Schikanen der örtlichen Behörden ausgesetzt. Nach einer gewissen Zeit, als die politische Lage es zuließ, verließen sie deßhalb ihren Wirkungsbereich und wanderten nach Deutschland aus. Ausgewandert sind auch Geistliche nichtmasuruscher Abstammung deren Ehefrauen aus Masuren waren, unter anderen Stokowski und Gostomski. Die Pfarrer Maksymilian Otto Cybulla und Karol Napierski wurden durch Methodisten abgeworben und verließen später auch ihren Wirkungskreis. Gostomski wurde durch die evangelische Kirche in Deutschland auf eine Stelle in Südamerika delegiert.

Der Pfarrrer Jan Sczech, 1945 vorübergehend Mitarbeiter im Amt für gesellschafts-politische Fragen in Allenstein, wurde gezwungen von Sensburg nach Lötzen umzusiedeln. Weil seine Ehefrau aus Masuren stammte ließ man ihm auch dort keine Ruhe. Auch er wählte die Ausreise nach Deutschland. Pfarrer Ryszard Mallek, Sohn des sogenannten "König von Masuren" hatte eine Ehefrau aus Masuren. An seiner Wirkungsstätte in Ukta wurde er von Funktionären des Sicherheitsdienstes bedrängt, mit Drohungen überschüttet und schließlich zur Ausreise gezwungen. Ich glaube daß in diesem Falle, auf seinen Vater politischer Druck ausgeübt werden sollte. Er war zu dem Zeitpunkt als Direktor an der "Masurischen Volks-Universität" in Rudau tätig, wo er schon seit langer Zeit von den Sicherheitsorganen bekämpft wurde.

Karol Mallek war sehr betrübt als er von den Schiksalsschlägen die seinen Sohn betrafen, erfuhr. Er klagte mir sein Leid und konnte es nicht verstehen daß die kirchlichen Instanzen seinem Sohn nicht beigestanden haben. Er hat es später wahrscheinlich eingesehen daß die kirchlichen Behörden unter dem Druck der Komunistischen Regierung in Warschau gehandelt haben. Auf Anordnung der Behörden musten Pfarrer auf andere Pfarrbezirke ausweichen, ihre Tätigkeit als Seelsorger einstellen, sogar Entlassungen aus dem kirchlichen Dienst wurden ausgesprochen.

Henryk Cmok, war Pfarrer in Willenberg. Den Funktionären des Sicherheitsdienstes war es ein Dorn im Auge, das er in verschiedenen Gemeinden Missionsfeste organisierte und in den Reihen der Gebetsvereine ein großes Ansehen genoß. Ich kannte ihn gut, weil er nach meiner erzwungenen Versetzung, die Betreuung der Kirchengemeinde in Ortelsburg übernommen hat. Dort lebte er unter ständiger Beobachtung des Sicherheitsdienstes, der um die Kirchengemeinde einen wahren "Belagerungsring" durch seine Agenten errichtete. Er hatte schließlich keine andere Alternative als den Spuren seiner Schwiegereltern zu folgen, die bereits nach Deutschland ausgereist waren.

Das sind einige schicksalhafte Beispiele aus dem Leben von Pfarrern und anderen kirchlichen Mitarbeitern während der ersten zehn Jahre, nachdem Masuren, Polen angegliedert wurde. Die Evangelisch-Augsburgische Kiche hatte zu diesem Zeitpunkt fast genügend Geistliche im Bereich Masuren, für eine ausreichende seelsorgrische Betreuung im Rahmen von Evangelisationswochen, Missionsfesten, Kindergottesdiensten und Kirchenchören, in denen die Jugend ein interessantes Betätigungfeld entdeckte. Die Freude währte nicht lange. Mit dem Jahr 1956 begann der Exodus aus Masuren. Nicht nur Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter, auch die große Masse der evangelischen Christen verließen ihre angestammte Heimat. Die Ausreiseflut entwickelte eine Eigendynamik die nicht mehr zu stoppen war. Im Jahr 1981 gab es nur noch knapp sechs Tausend, weit verstreut lebende, evangelische Masuren. Durch die örtlichen Behörden finden sie kaum Beachtung und werden wie ein fremdes Element behandelt. Der Name Masuren ist geblieben, aber diejenigen die dieses Land einst mit Leben erfüllten sind nun in alle Winde verstreut.

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