Winter in Ostpreußen

Ein Loblied auf unseren Ostpreußischen Winter

   Was war es doch bei uns im Winter herrlich und so unglaublich es klingen mag,
auch warm und anheimelnd! Wenn wir davon hier im Westen, wo wir in den sogenannten Wintern trotz meist mangelden Frostes
in der "labbrigen" Luft oft etwas verlauten lassen, begegnen wir allgemeinem Staunen: "Wir haben doch gehört daß bei
euch im Winter bis 25 Grad Kälte und sehr viel Schnee herrschen und daß dann dort die Erde unter einem weißen Tuch oftmals
steif und starr liegt." - Ja, das stimmt. Aber trotzdem war der Winter bei uns ungleich viel angenehmer als das, was sich
hier statt dessen an unbenennbarer Jahreszeit abspielt.
Bei uns zu Hause hatte jede, auch die Stube des einfachen Mannes, Doppelfenster und in jeder Stube, ob Wohn- oder Schlafraum
stand ein großer Kachelofen, der ganz langsam und gleichmäßig seine Wärme abgab. Man konnte sich daran so schön aufwärmen,
wenn man von draußen kam.

Nach einem langen schönen Herbst setzte zuerst der Vorwinter ein, der meist vor der Weihnachtszeit eine erhebliche Milderung
erfuhr. Wenn auch die Kerzen des Weihnachtsbaums sich durch die Fenster nach draußen noch auf dem Schnee spiegelten, so war
dieser immerhin klamm. Die Jugend hatte das bisherige Schorren, Schliddern und Rodeln ein wenig aufgegeben und baute eifrig
Schneemänner oder lieferte sich Schneeballschlachten. Das Leben auf den Seen und Haffen und Kanälen erfuhr allerdings durch ein
wenig Tauwetter kaum eine Unterbrechung. Schlittschuhläufer, Segelschlitten und Pferdeschlitten begegneten sich dort.
Die Hauptverkehrslinien auf dem Eis wurden gleich zu Beginn des Winters mit Tannen abgesteckt, da man sich sonst, zumal bei
plötzlich einsetzendem Schneegestöber, leicht verirren könnte.
   
    Winter in Ostpreußen
Nach einem verhältnimäßigen milden Vorwinter setzte aber bald nach Weihnachten der Hauptwinter ein. Dann hatten wir klirrenden
Frost bei strahlendem Sonnenschein und trockene, staubfreie Luft. Das war die Regel. Das war gesund für Mensch und Tier und auch
für die heimatliche Pflanzenwelt, die daran gewöhnt war und für die Winterfurche die sich dabei "löste". Gewiß gab es auch
manchmal Kahlfröste, womöglich noch verbunden mit dem bösen schneidenden Ostwind. Das war gefürchtet und bekam weder Menschen
noch Tieren, noch Saaten gut. Ebenso unangenehm war es wenn plötzch Glatteis einsetzte. Dann war die Natur wie mit einem festem,
durchsichtigen Zuckerguß überzogen. Ohne Eissporen war fast unmöglich sich fortzubewegen. Den Jungen machte es allerdings
großen Spaß die Hälfte aller Erwachsenen auf der Straße "lang liegen" zusehen. Weniger lustig war es für die Pferde, wenn die
Stollen nicht mehr ganz scharf waren und noch schlimmer wirkte sich das Glatteis für das Wild aus, das dann meistens nicht zu
seinen Futterstellen kommen konnte. Die Rehe die durch die scharfkantig splitternde Eiskruste brachen, verletzten sich ihre Läufe.
Die Landwirte waren in Sorge um ihre Wintersaaten, die unter dieser Eislasur nicht atmen konnten und nun zum Erstickungstod
verurteilt waren. Die gewöhnliche Schneedecke bildet einen notwendigen Schutz gegen die Kälte, es sei denn das der Schnee in
manchen Jahren zu lange liegen bleibt. Hundert Tage hintereinander Schnee vertrugen, nach alter Bauernregel die Ostpreußischen Wintersaaten.
    Winter in Ostpreußen

Gewöhnlich war das ganze Land in weiße, weiche Watte eingepackt, die vor dem schlimmsten schützte und die störenden Laute auffing
oder wenigstens dämpfte, so das nur das knirschen der Schritte und das hellere oder dunklere klingeln der Schlittenglocken zu
vernehmen war. Besonders am Abend oder nachts war diese Stille wohltuend und beruhigend. Wenn man dann aus dem Hause trat, die
funkelnde Sternenpracht am schwarzen Himmel über sich, und wenn man dann nur ein par Schritte vom Hofe weg aufs Feld hinaus ging
und dort stehen blieb, dann war man mit dem lieben Gott allein, - nichts war zu hören. Höchsten ganz aus der Ferne drang manchmal
ein leises Schlittengeläut an unser Ohr, wie ein schwaches Wimmern aus einer anderen Welt. Selbst wenn dann unten im Dorf ein
Hund anschlug, vermochte sein kurzes Bellen, dass nur dumpf über die Schneefläche herüber klang, die allgemeine Stille kaum
wirklich zu unterbrechen. Bei Tage hörte man noch hin und wieder vom Walde her einen Flintenschuß, der ganz unwirklich klang,
und aus der Nähe schrieen die Nebelkrähen weil ihnen der Magen knurrte. Erst wenn in den Obstgärten die garnicht menschenscheuen
Dompfaffen in ganzen Gesellschaften ihre blutroten Brüstchen im Schnee plusterten, wenn oft genug die Seidenschwänze, die
eigentlich im hohen Nordrn zu Hause sind, ihr silbernes Sirren ertönen ließen und gar die kleinen nordischen Taucher an offenen
Stellen des Baches ihre Künste zeigten, dann war bei uns richtig Winter. Dann mußte man jeden morgen die Haus- und Stalltüren
freimachen und die Wege auf dem Hofe und vom Hofe zur Landstraße ausschaufeln, damit Fütterer und Melker und Briefträger
durchkamen. Der Schneepflug schob die Hauptverkehrsstraßen frei. Allmählich erhoben sich ganze Mauern zu beiden Seiten der Wege.
    Winter in Ostpreußen

An Sonn- und Feiertagen ließ man die Kutschpferde anspannen und im Spazierschlitten ging es, heidi, daß der Schee Menschen und
Tieren um die Ohren flog. Dann ging es im schlanken Trabe hinaus zum Besuch zu Verwandten und Bekannten, oft meilenweit vorbei an
Dörfern und Gehöften, weite Strecken durch den Wald, von dessen Zweigen und Ästen der Schnee wie Puderzucker auf uns herabfiel.
In Pelze gehüllt, auf Pelzdecken sitzend und mit ihnen zugedeckt. Gut bestopft sauste man nun durch die frische Winterluft und
bekam rote Wangen. Die edlen Füchse, Braunen und Rappen, mit dampfenden Nüstern und vorn ganz bereift ließen sich nicht lumpen. Man
sah ihnen die Lust an die sie an der fröhlichen Fahrt hatten. Die Beine in den Schnee stechend und wieder an sich reißend, wie
im Zirkus. Sie versagten nie und zogen den Schlitten durch jede Schneewehe. Werkzeug zum Ausgraben von Fahrzeug und Pferden und
zum flicken von geplatzten Strängen und Sielen hatte man für alle Fälle immer dabei.

Am Ziel angelangt trat man mit Eiszapfen am Schnurrbart, bei den Freunden ein. Der Blutstrom, von der frischen Luft angepeitscht,
rann eben flüssiger durch die Adern. Daß dazu noch durch einen guten Kaffee und ein ordentliches Glaß Grog weitere Anregungen
hinzukammen, war selbstverständlich. Daß auch die essbaren Vorräte durchprobiert werden mußten war Pflicht. Diese Pflicht war
manchmal nicht leicht, den inzwischen hatte die Vorratsschlachterei stattgefunden. Bei lauem Wetter schlachtete nämlich kein
Ostpreuße gern. Leberwurst und Sülze musten schon zum Kaffe dabei sein, eine Rauchwurst wurde zu Ehren der Gäste
auch schon aus dem Rauch geangelt. Zum Abendessen gab es vielleicht Hasenbraten mit Schmandsoße. Denn inzwischen waren ja schon
einige Treibjagden gewesen, bei denen manch armer Mümmelmann den Schnee rot gefärbt hatte.
    Winter in Ostpreußen

Mitten in der Nacht ging es wieder heimwärts. Draußen wiesen uns die Sterne den Weg oder es herrschte Schneelicht. Man konnte
getrost hin und wieder ein Nickerchen machen; die Pferde fanden den Rückweg von alleine. Erst wenn sie im scharfen Trabe etwas
kurz auf den Hof einbogen und mit einem Ruck hielten, erwachte alles aus dem freundlichen Hindämmern. Übrigens es schlummerte
sich nirgens so schön wie im kalten Winter warm zugedeckt im Schlitten unter den Sternen der Heimat, bei guter schön
eingefahrener Schlittenbahn, wenn dabei leise neue Schneeflocken herunter rieselten und die Schlittenbahn schmierten. Nirgends
fühlte mann sich so geborgen und nirgends schlief man nachher so tief und fest wie daheim nach so einer Schlittenfahrt.
>Ernst Krause<


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