Eine sinnliche Betrachtung zur Weihnachtszeit
Soll ich Kindern erzählen, was ich selber nicht glaube?
Mit der Pubertät hatte sie ihren Kinderglauben verloren. Seitdem war
das Leben ganz schön bunt gewesen, manchmal zu bunt, wie sie heute meint; jedenfalls so, dass sie Gott und die
Kirche nicht brauchte. Wozu auch? Um zu unterscheiden, was gut und böse ist, dazu brauchte man keinen Gott. Das
konnte man sich selber beibringen. Es gab auch Freunde. Und einige Bücher. Und wenn sie Rat suchte,
gab es eine Therapeutin, die war ganz locker. Früher waren es die Eltern gewesen mit ihrer Mischung
aus Sorge und Kontrolle. Sie hatte die Freiheit gesucht, das war wichtig, und die hatte sie sich
auch genommen.
Jetzt war sie Mutter. Das Kind war inzwischen 3 Jahre alt und ging schon ein Jahr in den
Kinndergarten. Es war der nächste Kindergarten, und er war religionsfrei, ohne die alten Geschichten,
von denen man sich befreien musste. Sie wollte ihrer Tochter die Enttäuschung darüber ersparen,
dass es das alles womöglich nicht gibt, wovon da erzählt wurde.
Als der Dezember kam, erzählte ihre Tochter vom Weihnachtsmann. Der bringe Schokolade,
und deshalb sei Weihnachten. Im Kindergarten wurde darum viel Schokolade gegessen. Ihre Tochter war vom
Weihnachtsmannschokoladenfest begeistert. Die Mutter war es weniger. "Was für ein Unsinn da erzählt
wird!", sagte sie einmal, als die Tochter nicht dabei war, voller Ärger über den versteckten
Konsumeinstieg. Und sie erinnerte sich an ihre eigene Kindheit. Sie hatte mal eine Kinderbibel.
Im Kindergarten, in der Schule hatte sie alle Geschichten gehört, von Adam und Eva bis zu Jesus
und den Aposteln. Oder hießen die "Jünger"? Natürlich war sie konfirmiert worden, und die Eltern
hatten sie Weihnachten und Ostern in die Kirche geeschleppt, mit Bibel und den alten Liedern. Aber
irgendwann hatte sie den Anschluss verloren, Gott brauchte sie nicht, das hatten ja die vielen Jahre
bis jetzt gezeigt. Aber soll mein Kind an den Weihnachtsmann glauben? Soll mein Kind so etwas hören?
Die biblischen Geschichten, dachte sie, meine Tochter würde sie lieben. Wie viel Warmes und
Herzliches war in ihnen gewesen, wie viel Wunderbares und Tröstendes, zugleich wie viel Abgründiges
und Schwieriges. Aber soll ich ihr etwas erzählen, was ich selber nicht glaube? Darf ich ihr Geschichten
erzählen, die vielleicht so nie passiert sind? Die sich tief einprägen können wie die Geschichte vom
verlorenen Sohn?
Sie las in einer Zeitschrift, dass man Kindern Geschichten erzählen soll, die man für
glaubwürdig hält. Glaubwürdig war auseinander geschrieben: "glaub-würdig". Würdig, dass ein anderer
sie glauben kann, auch wenn man sie selber nicht glaubt. Diese Unterscheidung half ihr. Damit konnte
sie etwas anfangen. Sie kaufte sich eine neue Kinderbibel, las und wählte aus. Dann las sie sie
ihrer Tochter vor. Als die Tochter Fragen stellte, gab sie offen zu, was sie nicht wusste.
Manches aber lag in den Geschichten selber drin und beantwortete sich selbst. Sie war kritisch und
zugleich erfindungsreich. Ihr wurde wichtig, eine gute Erzählerin zu sein. Und es war ihr wichtig,
welche Geschichten die Tochter zu hören bekommt. Geschichten, die "glaub-würdig" waren und blieben.
Als Mutter hatte sie die Bibel entdeckt. Überrascht war sie darüber schon.
>> Quelle: Heiligenhauser Gemeindebrief <<