Ulrichseer Dorfchronik aufgezeichnet von Lehrer Karl Griggo.
Quelle: Ortelsburger Heimatbote von 1987
“Gründung des Dorfes”
Das genaue Gründungsdatum des Dorfes ist mir nicht bekannt. Der Name deutet aber darauf hin, daß Ulrichsee
zur Zeit des Hochmeisters des Deutschen Ritterordens Ulrich von Junggingen(gestorben 1410 in der Schlacht bei
Tannenberg) gegründet sein muß, also um 1400. Ich erinnere mich noch, wie in der Schulchronik des Ortes die
Vermessung der Gemeindemark durch den Orden erwähnt wurde. Als Eckpunkte wählte man besonders markante Bäume,
wie mächtige Eichen, starke Buchen, hohe Tannen und anderes aus. Für die Dorfanlage am Kleinen Sylvensee
rodeten die Bauern ein Waldstück und legten dort die einzelnen Hofstellen an.
“Dorfanlagen”
Ulrichsee ist ein Reihendorf. Der Kleine Sylvensee lieferte ursprünglich das notwendige Wasser für Mensch und Tier.
Sein Fischreichtum war eine sehr Willkommene Ergänzung der Ernährung. Die Zahlreichen Abbauten(16),
entstanden größtenteils durch Aufteilung des Gutes Waldpusch und des großen Hofes "Linde" nach 1900.
“Verkehrslage und -wege”
Ulrichsee liegt 5 km nordöstlich von Ortelsburg, an der Chaussee Ortelsburg - Alt Keykuth - Sensburg.
Für Fußgänger verkürzte sich der Weg über einen Kirchensteig von Lehmanen nach Ulrichsee westlich des
Großen Sylwensees um etwa 0,5 km. 3 km entfernt, war Neuvölklingen(an der Bahnstrecke Ortelsburg - Bischofsburg) der
nächste Bahnhof. Das Dorf gehörte zum Kirchspiel Ortelsburg.
“Bewohner und ihre Beschäftigung”
Einwohnerzahl am 1.9.1939: 247
Ulrichsee war ein Bauerndorf
An Handwerkern sind zu nennen: Karl Kontor, der als Zimmermann selbstständiger Unternehmer war, und
Fritz Waschulewski, der als Zimmermann im Nebenberuf arbeitete. Andere Handwerker gab es hier nicht, weil
der Stadtnähe wegen der nötige Kundenkreis fehlte.
Einige Männer fanden als Bauhilfsarbeiter in Ortelsburger Betrieben oder als Waldarbeiter in der nahen
Forst Beschäftigung.
Den Waldpuschsee bewirtschaftete zuletzt der Fischpächter Richard Böttcher. Der große See(ca. 4 km lang)
war recht fischreich. Er lieferte schmackhafte Hechte, Bressen, Aale, Barsche und viele andere Fische.
Besonders interessant war im Winter die Eisfischerei mit dem langen Spezialnetz.
Oft forderte der See aber auch seine Opfer. So ist mir der Tod eines Ortelsburger Jägers, der mit seinem
Boot bei Sturm kenterte und ertrank, noch in Erinnerung. Auch brachen einmal Fischer mit ihrem mit
schweren Netzen beladenen Schlitten durch das Eis. Zum Glück konnten sich alle retten.
Ein Lebensmittelgeschäft konnte sich im Dorf nicht halten. Eine Höckerei bei Schulz um 1930 ging bald ein.
Die nahe Kreisstadt lockte die Ulrichseer besonders an Wochen- und noch mehr an den Jahrmärkten. Dort trafen
sich die Kauf- und Schaulustigen mit ihren Verwandten und guten Bekannten zu frohem Umtrunk, bei dem manche
wichtige Familienangelegenheit beraten und oft auch erledigt wurde.
“Schule des Dorfes”
Das Dorf hatte eine einklassige Volksschule. Das Schulhaus lag im Erdkeller, Stall, Scheune, Holzschuppen
und ein 0,5 ha großer Obstgarten am Dorfende nach Rohmanen. Der Garten wurde dem Stelleninhaber später mehr
eine Last als eine Lust, zumal die harten Winter die edelsten Obstsorten vernichteten. Ein schwieriges Problem
war die Reparatur des langen Gartenzaunes. Zur Stelle gehörten ca.17,5 ha Dienstland, das in letzter Zeit in
kleinen Anteilen verpachtet wurde. Die Kinder hatten die Möglichkeit, nach Abschluß der Grundschule die Oberschule
in Ortelsburg zu besuchen.
Letzter Lehrer vor der Flucht war Albert Czudnochowski, der jetzt in Steinen, Kreis Hadeln, an der Niederelbe wohnt.
“Verwaltung und Vereinstätigkeit”
Die Verwaltung der Gemeinde oblag in üblicher Weise der Gemeindeverwaltung und dem aus deren Mitte gewählten
Bürgermeister. Letzter Bürgermeister war Johann Lammek, den die Russen 1945 verschleppten. Er soll in der
Gefangenschaft umgekommen sein. Dasselbe Schicksal ereilte auch den Ortsbauernführer Gustav Thybusch.
Vereine gab es keine im Dorf.
“Abstimmung 1920”
Bei der Abstimmung gaben alle Dorfbewohner ihre Stimme für Deutschland ab. Die Wahl wurde voll gläubiger
Zuversicht durchgeführt und ihr selbstverständlicher Erfolg frohen Herzens gefeiert.
Die Fischerei auf dem Waldpuschsee übten aus: Suchar, ein Jude, später Peter und zuletzt Böttcher. Eigentümer des
Sees war zuletzt der Forstfiskus.
Der alte Exerzierplatz bestand schon vor der Auflösung des Gutes auf dem Gelände der staatlichen Forstverwaltung.
Er wurde später um ein Stück von Waldpusch erweitert.
“Der erste Weltkrieg”
Die Dorfbewohner flohen im August 1914 im Treck vor den Russen bis Seeburg und Heilsberg. Nach der Schlacht
von Tannenberg kehrten sie in ihre ausgeplünderten Häuser zurück.
“Besonderheiten des Dorfes”
Dicht am Dorf liegt der kleine Sylvensee, der mit seinen ungefähr 1-2 ha mehr ein großer Teich war. Er bot sich
dem Besucher des Ortes als erfreulicher Blickfang an. Im Sommer tummelten sich nur Schwärme von Enten und Gänsen
auf ihm herum. Kam aber der kalte Winter, so lief die Dorfjugend mit Begeisterung darauf Schlittschuh. Die
anliegenden Grundstücke(12) hatten Anteil an dem gemeinsam ausgeübten, nicht unergiebigen Fischfang. Der See
reichte früher bis zur Chausee. Er war 1945 schon beträchtlich verlandet.
Bis etwa 1935 hatten Ortelsburger Jäger auf unserer Feldmark (Waldpusch) ihren Exerzierplatz. Auf diesem wurde
auch scharf geschossen. Der nahe Schleusenwald bildete dabei den Kugelfang und lieferte wegen der
Infantrie-Steckschüsse stellenweise wenig begehrtes Nutzholz. Der neue Exerzierplatz lag dicht an unserer Dorfmark
in Richtung Lehmanen.
Zum Friedhof des Dorfes war es fast 1 km. Er befand sich zwischen der Chausee nach Ortelsburg und dem Großen Sylvensee.
Eine Steinmauer umgab und eine Anzahl hoher Kiefern umschattete ihn. Die Ausführung der Begräbnisse nahm nicht
immer der Ortsgeistliche vor. Oft wurde der Lehrer darum gebeten. Ich erinnere mich einiger Beerdigungen, bei
denen ich dieses Amtes waltete.
Ebenso wurde bei Hochzeiten gern gesehen, wenn der Lehrer das Brautpaar vor der Fahrt zur Kirche aus den Hochzeitshause
feierlich ausführte.
Die Gemeindejagd übten die Ortelsburger Jäger aus. Nur kurze Zeit soll ein Zivilpächter sich hier jagdlich betätigt
haben. Die Jahrespacht betrug 80,-RM. Da es nur wenige Waldstücke im und am Dorfgelände gab, bestand die Jagdbeute
meistens nur aus Niederwild.
Von dem früheren Gut Waldpusch und dem Hof "Linde" wurde mir folgendes mitgeteilt:
Auf Linde war früher ein gewisser Mager, später der Verwalter Ohnmacht. Nach zu großer Verschuldung parzellierte
die Landschaftsgesellschaft das Gut(ca 100 ha). Auf dem Resthof wechselten mehrere Besitzer bis auf den Vorletzten,
Skrzipzik, der als Pole nach dem Ersten Weltkrieg ausgewiesen wurde. Gekauft wurde das Restgut von Dziarstek,
der früher auf Waldpusch wohnte.
“Der zweite Weltkrieg”
Große Einquartierung fast den ganzen Krieg über, zuerst Landesschützen, dann auch Kampf- und Nachschubtruppen bis
zur Flucht.
Am 21.01.1945 Flucht der Dorfbewohner. Treck unter Führung von Bürgermeister Lammek und Ortsbauernführer Thybusch.
Unterwegs gab es mancherlei Pannen, so brach dem Bauern W.Gemballa in Erben ein Wagenrad. Das war für ihn ein
Glück im Unglück, er kam später unter großen Mühen bis Pommern durch. Der Haupttrupp wurde einige Dörfer weiter
von den Russen überrollt, ausgeplündert und zurück geschickt.
gezeichnet: Lehrer Karl Griggo